Das Kapellenbuch der Sigismundkapelle

Karl Endres gab Einblick in alte Aufzeichnungen. Beleg für Existenz der Michaelis-Kirche

Die Vorsitzende des Kulturvereins Wittighausen, Margarete Gessner, freute sich über den voll besetzten Saal
des Dorfgemeinschaftshauses beim Vortrag über das wiedergefundene Kapellenbuch der Sigismundkapelle
bei Oberwittighausen. Ihr besonderer Gruß galt Altbürgermeister Alfred Beetz aus Grünsfeld in seiner Eigenschaft
als Vorsitzender der Leader-Gruppe Badisch-Franken. Sie würdigte deren großzügige Unterstützung bei der Herausgabe
des Buchs über die Sigismundkapelle und die Wiederbeschaffung der zweiten Glocke.

Pater Shinto zelebrierte zunächst im Kirchhof der Kapelle den Gottesdienst zum Hochfest Mariä Himmelfahrt
und segnete die von vielen Gläubigen mitgebrachten Kräuterbüschel. Musikalisch wurde die Feier von den
Wittighäuser Musikanten umrahmt.

Es folgten die Vorträge über die Kapelle. Im einführenden Referat berichtete Kreisheimatpflegerin Claudia Wieland
über das Auffinden des seit Generationen verschollenen Kapellenbuchs, das letztmals 1895 in einer Aufstellung
wertvoller Archivalien genannt ist. Bei einem Besuch im Tauberfränkischen Landschaftsmuseum in Tauber-
bischofsheim wurde ihr ein Buch gezeigt, das die Museumsleitung nicht einzuordnen wusste. Schnell erkannte sie,
dass es sich um das lange von Karl Endres vergeblich gesuchte Kapellenbuch der Sigismundkapelle handelte.

Mit Zustimmung der Museumsleitung nahm es Wieland in Verwahrung, um es an den rechtmäßigen Eigentümer
weiterzuleiten. Mit Einvernehmen der zuständigen Stellen kopierte sie den Inhalt für das Staatsarchiv in Bronnbach,
um ihn bei Bedarf an Heimatforschende weitergeben zu können.

Rätselhaft
Rätselhaft ist, wie das Kapellenbuch ins Landschaftsmuseum in Tauberbischofsheim gelangte. Im „Verdacht" stehen
der frühere Kreisbaumeister Wilhelm Wamser, Amtsgerichtsdirektor Dr. Otto Chrestin und Amtsinspektor Hugo Pahl.
Sie bereisten in der Nachkriegszeit die Dörfer des Gaus auf der Suche nach alten Bauernmöbeln und vor allem
Gautrachten, die als „altes Glumb" in den Bauernhäusern keine Beachtung mehr fanden. So könnte es ein, dass auch der
Ortspfarrer von Poppenhausen überredet wurde, das wertvolle Kapellenbuch herauszugeben. Ein Argument könnte
gewesen sein, dass es im Heimatmuseum besser aufgehoben sei als im Pfarrhaus, zumal der künftige Bestand der
Pfarrei nicht gesichert war.

Zu Beginn seines Vortrags bedankte sich Karl Endres mit einem kleinen Präsent bei der Kreisheimatpflegerin
für die Überlassung einer Kopie des Kapellenbuchs und die vielfältige Hilfe bei der Auswertung und Korrektur
der oft schwer lesbaren, zeitweise in Latein geschriebenen und manchmal vergilbten Seiten auch in ihrer Freizeit leistete.

In seinem Vortrag konnte Endres anhand einer von ihm im Fürstlich-Leininger Archiv in Amorbach gefundenen kolorierten Landkarte aus dem Jahr 1531 erstmals zweifelsfrei belegen, dass die bisher nur in der Sage existierende Michaelis-Kirche in Gaurettersheim tatsächlich bestand, aber um 1664 einer Hallenkirche weichen musste.

Die Eintragungen im kunstvoll dekorierten, lederbezogenen Band beginnen 1693. Es war die Zeit nach dem
Wiederaufbau der Kapelle, die 1678 geweiht wurde und im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts mit Altären
und Fresken ausgestattet wurde. Bis 1710 wurden nur die an den schon im Ablassbrief von 1285 eingetragenen
Wallfahrtstagen angefallenen Opfer im Buch eingetragen und - wie in Nebensätzen vermerkt - zur Tilgung der
beim Ausbau angefallenen Schulden verwendet.

Von 1710 bis 1730 fehlen die Eintragungen im Kapellenbuch. Von 1731 bis 1741 wurden nur die Einnahmen
- jetzt monatlich in Latein - festgehalten.

Erst mit dem Beginn der über 46-jährigen Amtszeit von Pfarrer Ludwig Weinschrod wurden Einnahmen an Opfern
und Spenden und Ausgaben für den Gottesdienstbedarf, Reparaturen und Neuanschaffungen erfasst und ab 1752
eine jährliche Bilanz erstellt. Alle Ausgaben mussten und konnten ausschließlich aus dem Opfer der Wallfahrer
beglichen werden. Von der Mutterpfarrei Poppenhausen bekam die Filiale keine Zuschüsse, auch nicht
von übergeordneten kirchlichen und staatlichen Stellen.

Erst in dieser Zeit wurde das Fest des heiligen Sigismund zum Hauptfest in der Kapelle. Es waren bis zu acht Priester
als Beichtväter, Prediger und Zelebranten tätig. Sie wurden von Pfarrer Weinschrod mit aus gespendeten Kälbern,
Schafen und Schweinen zubereiteten Speisen in den Gasthäusern von Oberwittighausen bewirtet. An diesem Tag
waren alljährlich bis zu 400 Pilger aus den umliegenden Dörfern im Dorf. Es wurde etwa 200 Mal die Kommunion
ausgeteilt und auch großherzig gespendet.

Weinschrods Nachfolger, Pfarrer Anton Steinam, stammte aus einem angesehenen Tauberbischofsheimer
Patriziergeschlecht. Er war von 1801 bis 1841 Pfarrer von Poppenhausen und bis zum Ende der Filialzugehörigkeit
1827 auch für die Sigismundkapelle zuständig. In der Zeit der Aufklärung und am Ende der Kirchenstaaten
versuchte er leidenschaftlich, aber letztendlich vergeblich, die gewachsene Struktur zu erhalten. Er investierte viel Geld,
teils aus eigener Tasche, in die Kapelle. Die Wallfahrt wurde trotzdem verboten. Die Kapelle sollte abgerissen werden,
was vor allem durch massiven Widerstand der Oberwittighäuser verhindert wurde.

Ausführlich berichtete Karl Endres über die überragende Bedeutung der Kapelle als Wallfahrtsort, die in der bäuerlichen
Bevölkerung sehr beliebt war. Beginnend mit der von zehn Bischöfen besiegelten Ablassurkunde von 1285, über das
Pilgergeschehen im Mittelalter und in der Neuzeit berichtete er auch durch Lesen zwischen den Zeilen über viele
interessante Ereignisse.

 © Fränkische Nachrichten, 21. August 2023 



https://www.wittighausen.de/sehenswuerdigkeiten/kapelle-st-sigismund.html