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„Von hier oben hat man wirklich einen schönen Blick über den Markt bis zum Kloster", sagt ein älterer Herr,
als er auf den Balkon des Tauberbischofsheimer Rathauses hinaus tritt. Natürlich zückt er sofort sein Handy,
um mit einem Foto diesen Augenblick festzuhalten. Zum Spaß winkt eine der Damen ganz wie in früherer
Zeit sehr huldvoll nachunten - Richtung gemeines Volk.
DiegroßeMenschengruppe ist an diesem Sonntagnachmittag mit fachkundigem Personal unterwegs,
um einen etwas genaueren Blick auf ausgesuchte, historische Bauten der Stadt zu werfen und etwas über ihre
Geschichte zu lernen. Und so erfahren die Besucher beispielsweise, dass der Vorgänger des
Tauberbischofsheimer Rathauses wahrscheinlich im hinteren Teil des Bögner-Hauses (Mackert) zu finden war,
der Marktplatz zur Zeit seiner Entstehung für den Ort viel zu groß war oder, dass die Rathäuser früher
Doppelfunktionen hatten. Sie fungierten in der Regel als öffentliche Schlachthäuser. Bauzeit, Stil, Veränderungen
und die vielen Symbole im großen Saal - Irmgard Wernher-Lippert präsentiert die Fakten den Zuhörern,
die im großen Saal des Rathauses inzwischen Platz genommen haben, auf sehr unterhaltsame Weise.
„Warum heißt das Gebäude eigentlich 'Alte Post', wenn es früher doch nie eine Poststelle beherbergte?"
Es ist Dr. Hans-Joachim Till, der diese Frage in die Runde wirft. Er selbst kann sich das nur so erklären,
dass hier früher eventuell für den Postreiter ein kleines Stübchen zum Übernachten vorgehalten wurde,
während dessen Pferd im öffentlichen Marstall versorgt wurde. Auch wenn am Fachwerk-Haus die Jahreszahl
1602 zu entdecken ist, so ist sich Till sicher, dass die „Alte Post" durchaus älter sein kann. Immerhin habe
man bei Sanierungsarbeiten auf einem Fenstergesims die Zahl 1492 gefunden, berichtet er der aufmerksam
lauschenden Zuhörerschaft. Und die ist zwischendurch damit beschäftigt, die Schandmaske am
Fachwerk ausfindig zu machen.
„Diese Haus hat 1902 mein Großvater Wilhelm gekauft." Die Rede ist von einem der imposantesten
Weinhändlerhäuser in Süddeutschland, dem Barockpalais des Weinhändlers Bögner.
Der, der sich so gut mit der Geschichte des Hauses auskennt, ist sein Bewohner WilhelmMackert.
Einhundert Jahre war das Haus im Besitz der Bögners, bis es für mehr als eine Million Euro (nach heutigem Maß)
im Laufe der Jahrzehnte mehrfach verkauft wurde. Von Mackert erfährt der Zuhörer beispielsweise,
was es mit den drei heiligenFiguren am Eingangauf sich hat, wie schwierig die gerade abgeschlossene Sanierung
war oder dass die heute aufgetragene Farbe „Siena Rot" heißt und genau der Farbe von 1842 entspricht.
„MachtundPracht" lautete das diesjährige Thema des Tags des offenen Denkmals. Mit Rathaus, historischem
Fachwerkhaus und barockem Palais wurde man in Tauberbischofsheim dem Thema durchaus gerecht.
Natürlich spielt generell der Denkmalschutz, Abrisswahn, politische Entscheidungen und vieles mehr
an allen drei Stationen eine Rolle. Anerkennend registrieren die Zuhörer, dass hier zum Teil die Besitzer
der Häuser die Führungen übernommen haben.
„Schade, dass wir da nicht rein konnten", bemängelt am Ende der Tour eine Touristin. Einige Besucher
der Veranstaltung stimmen ihr zu. Laut ihrer Bemerkungen hätten viele Teilnehmer gern mal auch einen
Blick hinter die Fassaden geworfen, oder zumindest bis ins Treppenhaus der Alten Post
und des Bögner-Hauses.
© Fränkische Nachrichten, Heike Barowski, Dienstag, 12.09.2017