Sagengestalten erwachten zum Leben

Am Abend vor Allerheiligen hatten die Tauberfränkischen Heimatfreunde Groß und Klein zu einem wahrlich sagenhaften Abend ins Kurmainzische Schloss eingeladen.


Dreimal schlug der alte Mönch gegen das alte, schwere Schlosstor, das sich langsam öffnete. Mit dem Eintritt
in das nur mit spärlichem Licht erleuchtete Schloss tauchten die Besucher unter seiner Führung in die Sagenwelt
der Stadt Tauberbischofsheim und des Taubertals ein.

Nur an diesem besonderen Abend erwachten die Sagengestalten zum Leben und die aufmerksamen,
aber zum Schweigen verpflichteten Besucher, konnten den unheilvollen Geschehen, die sich vor Jahrhunderten
abspielten, lauschen.

Den Reigen eröffnete eine bizarre Gestalt ganz in schwarz mit einem furchteinflößenden Totenschädel
und einem Degen in der Hand. Diese Gestalt war einmal ein schwedischer Soldat während des Dreißigjährigen
Krieges, dessen Weg bis nach Distelhausen führte. Sein Vergehen, sein Frevel an der Madonnenfigur in der
Wolfgangskapelle zu Distelhausen, wurde jäh durch seine eigene Hand gesühnt, noch ehe er dessen gewahr wurde.
Den Zuhörern lief ein Schaudern über den Rücken.

Jetzt führte der Weg hinunter in die alte Räucherküche. Es war fast stockdunkel in dem kleinen Raum
und ein Spinnennetz mit einer dicken Spinne hing tief in den Eingang hinein. Nur langsam gewöhnte sich
das menschliche Auge an die Dunkelheit. Da, in der Nische neben dem offenen Kamin waren die Umrisse
einer ganz in schwarz gekleideten Frau mit einem großen, verschleierten Hexenhut schemenhaft zu erkennen.
Es war mucksmäuschenstill. Plötzlich erleuchtete ein Licht die Hexe und sie begann mit der Geschichte
eines jungen Burschen aus Dittwar. Dieser erlebte durch seine übergroße Neugier eine fantastische Reise,
die ihn unversehens in eine lebensbedrohliche Lage versetzte. Ob der Bursche sein kleines Dorf
jemals wieder sah?

Der Mönch nahm seine Laterne und führte die Besucher zurück in die Untere Diele zum Brunnen.
Grünes Licht erhellte den Brunnen und eine Eule musterte die Besucher. Welches Schicksal nahm hier seinen Lauf?
Zwischen Gamburg und Bronnbach lebte einst eine Müllersmagd von magischer Schönheit, deren Schicksal es war,
sich nachts in ein Wasserfräulein verwandeln zu müssen. So wurde der Graf der nahen Gamburg in ihren Bann
gezogen, ihr Schicksal aber durch den abgewiesenen Müller besiegelt.

Die Besucher hatten keine Zeit, lange über die Tragik der jungen Frau nachzudenken. Schon riss ein lauter Peitschenknall sie aus ihren Gedanken. Ein Fuhrmann war mit seinem Gespann des nachts am Stammberg
unterwegs. Er blieb im Morast stecken und peitschte wie von Sinnen auf die erschöpften Pferde ein.
Dabei stieß er einen fürchterlichen Fluch gen Himmel aus. Was nun geschah, lehrte ihn, für den Rest seines Lebens
demütig und gottesfürchtig zu sein.

Zu guter Letzt führte der Weg auf die Treppe zur Oberen Diele. Eine Magd erzählte in „büschemer Mundart",
dass in Tauberbischofsheim in der alten Klostergasse vor vielen, vielen Jahren ein uraltes Haus stand, in dem ein
Schatz vergraben sei. Diesen Schatz zu bergen, sei aber noch niemandem gelungen. Eines Tages sollte es soweit sein.
Ein altes Ehepaar stieß mit der Schaufel auf etwas Hohles, doch welcher ungebetene Gast mischte sich da plötzlich
ein?

Die Besucher erlebten hautnah, dass heimische Sagen durchaus Gruselpotential haben und kein bisschen langweilig
sind. Wer sich auf sie einlässt, wird feststellen, dass sie uns gleichzeitig das Leben, Denken und Fühlen vergangener
Generationen näher bringen können.

© Claudia Hasel, Tauberfränkische Heimatfreunde